Nicht im Fahrersitz: Warum ein ITBO-Teilprojekt vorzeitig eingestellt wird – und es trotzdem Resultate gibt
Nicht im Fahrersitz: Warum ein ITBO-Teilprojekt vorzeitig eingestellt wird – und es trotzdem Resultate gibt
Das Teilprojekt Neues Inhaltsarrangement ist ursprünglich als Kooperation zwischen dem Reformprojekt FUTUREMEM und der IT-Bildungsoffensive des Kantons St.Gallen geplant gewesen. Diese Zusammenarbeit mit FUTUREMEM blieb hinter den Erwartungen zurück. Darum haben Projekt- und Programmausschuss entschieden, den Kontext auf den Allgemeinbildenden Unterricht (ABU) zu wechseln.
Die Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (MEM-Industrie) nimmt als grösste industrielle Arbeitgeberin mit rund 320’000 Beschäftigten in der schweizerischen Volkswirtschaft eine Schlüsselstellung ein. Die Branche ändert sich rasant – steigende Automatisierung und der schnelle technologische Fortschritt sowie allgemeine und wirtschaftliche Entwicklungen bringen viele Herausforderungen mit sich. Dagegen gilt es sich zu wappnen und den Nachwuchs entsprechend zu fördern. Bis ins Jahr 2026 sollen die acht technischen MEM-Berufe einer Überprüfung unterzogen und mit den für die Zukunft notwendigen Anpassungen umgesetzt sein.
Heute berichtet Jürg Pfeiffer, Teilprojektleiter des Projekts «Neues Inhaltsarrangement mit Fokus MEM» über seine Erfahrungen mit dem gestoppten Projekt und erzählt, wie es mit dieser grossen Berufsreform weitergeht.
Warum werden die MEM-Berufe reformiert?
Auf der für das Reformprojekt eingerichteten Website beschreibt FUTUREMEM die Stossrichtung folgendermassen: «Unser Ziel: Die Schweizer MEM-Industrie bleibt national und global wettbewerbsfähig. Dazu bilden die Unternehmen in der Schweiz eine genügende Zahl an MEM-Berufsleuten aus, die für die Zukunft qualifiziert sind.»
Einige der MEM-Berufe «fischen im selben Teich» der guten Sek I-Schülerinnen und -Schüler wie andere technisch anspruchsvolle Ausbildungen oder das Gymnasium auch. Deshalb müssen Ausbildungsinhalte zeitgemäss daherkommen. Die zukünftigen ArbeitnehmerInnen sollen erkennen, dass sie mit einer Ausbildung in der MEM-Branche beste Chancen auf dem Arbeitsmarkt und attraktive Weiterbildungsmöglichkeiten haben.
Im Jahr 2028 sollen für die technischen MEM-Berufe folgende quantitativen Ziele erreicht sein:
- Die Zahl der Lehrverhältnisse in der MEM Branche soll gleich oder höher sein
- Wir gewinnen mehr Ausbildungsbetriebe für die Ausbildung von Lernenden
- Die Anzahl Lehrverhältnisse von Frauen soll stetig gesteigert werden
Dies ist ein Bekenntnis zum Werkplatz Schweiz, inklusive Ausbildungsplätze. Somit gibt es für die jungen Lernenden in dieser Branche in den kommenden Jahr(zehnt)en sowohl in Grossbetrieben wie auch in KMU solide Ausbildungsmöglichkeiten als Basis für ihr Berufsleben.
Was wird in der Ausbildung der MEM-Berufe nach der Reform anders? Wie profitieren die Lernenden davon?
Ein zentraler Treiber für die Reform sind auch die technologischen Entwicklungen wie Robotik, Programmierung, Virtual Reality, Internet of Things IoT usw. Dies bedingt eine Anpassung der Ausbildungsinhalte an allen drei Lernorten. Die Lernenden haben sozusagen «die Nase vorn», wenn es um zeitgemässe Handlungskompetenzorientierung, verbunden mit technologisch aktuellem Wissen, geht.
Weiter steht das eigenverantwortliche Lernen mehr im Mittelpunkt als bisher. Wie immer bei der ITBO sprechen wir «vom Shift from teaching to learning». Zudem gibt es in den höheren Lehrjahren auch Wahlmodule, die der Lehrbetrieb bestimmen kann. So wird eine massgeschneiderte Ausbildung möglich.
Was beinhaltet das Teilprojekt «Neues Inhaltsarrangement mit Fokus MEM» im Kern?
Ursprünglich war das Ziel, mit Beginn im August 2022 am BZWU (Schwerpunkt Mechanik) und am GBS (Schwerpunkt Automation/Elektronik) Pilotklassen zu unterrichten, deren Ausbildungsgänge modular aufgebaut und (wo immer sinnvoll möglich) flexibel gestaltet sind. Ebenfalls Bestandteil des Projektes ist die Zusammenarbeit mit den überbetrieblichen Kursen üK und den Betrieben, damit für die Lernenden ein möglichst hoher Output generiert werden kann. Grundlage bilden selbstverständlich die entsprechenden Bildungsverordnungen, die ebenfalls neu formuliert werden müssen. Somit war von Anfang an klar, dass der Rahmen um dieses Teilprojekt entscheidend grösser ist als bei allen anderen Projekten der ITBO.
Warum findet in diesem Teilprojekt der ITBO im Schwerpunkt Berufsbildung ein Kontextwechsel von MEM zu ABU statt? Hätte dieser Stopp für MEM vermieden werden können?
Schon beim Start des Teilprojektes war klar, dass wir als Kanton St.Gallen «nicht im Fahrersitz sitzen». Die beiden Verbände Swissmechanics und Swissmem funktionieren unterschiedlich, haben verschiedene Kulturen. Es brauchte Zeit, bis in den Leitungsgremien klar war, was man eigentlich mit der Reform abdecken kann und was nicht. Auch für die operativen Schritte musste eine gemeinsame Basis gefunden werden. Dass dies für den Fahrplan der ITBO SG zu langsam war, zeigte sich im Verlauf des letzten Jahres.
Immerhin konnten wir uns bei der Erarbeitung des sogenannten Berufspädagogischen Konzeptes für MEM-Berufe einbringen, welches aufzeigt, wie Unterricht in Zukunft auf Berufsfachschulebene aussehen könnte. Bewusst wurden auch Formulierungen gewählt, die den einzelnen Kantonen bzw. Berufsfachschulen Freiheiten bei der Umsetzung geben. Dies ist zentral, da die MEM-Berufsbildung z.B. in der Westschweiz ganz anders organisiert und aufgebaut ist als in der Deutschschweiz.
Auch Fragen rund um das Qualifikationsverfahren, die mit dem SBFI geklärt werden mussten, brauchten viel Zeit. Nun scheint es so, dass es gelungen ist – leider zu spät für unser Teilprojekt, da die Einführung der Berufsreform mehrfach verschoben wurde und aktuell für Sommer 2026 geplant ist, die ITBO aber Ende 2026 ausläuft.
Ganz am Anfang der ITBO meinte übrigens einer der Firmenvertreter in einem Statement, dass Scheitern ein Teil dieser einzigartigen Bildungsoffensive sein darf. In diesem Fall zeigt sich nun: Das Teilprojekt «Neues Inhaltsarrangement mit Fokus MEM» kann so nicht weiter umgesetzt werden.
Was konnte bisher im Projekt umgesetzt werden?
Das Kernteam bestand aus Lehrpersonen des BZWU und des GBS, Berufsbildnern und einem üK-Vertreter. Wir haben uns an verschiedenen Workshops intensiv mit dem Aufbau neuer Ausbildungsgänge auseinandergesetzt und ein allgemeines Grundlagenkonzept erarbeitet. Wie bereits erwähnt, sind einige unserer Ideen ins Berufspädagogische MEM-Konzept eingeflossen.
Weiter wurden am BZWU (berufsübergreifender Unterricht im 1. Lehrjahr bei Apparate- und Anlagebauern/Polymechanikern) und am GBS (flexibler Ablauf des Mathe-Unterrichts bei den Automatikern) konkrete Unterprojekte umgesetzt.
Parallel dazu wurde die Vernetzung mit überkantonalen Partnern vorangetrieben, wie z.B. die Kooperation mit der Berufsfachschule Baden (BBB). In diversen Workshops wurden mit Vertretern aus Betrieben, der Organisation der Arbeitswelt, der Berufsfachschulen sowie SchülerInnen aus der Oberstufe und unseren Lernenden die neuen Ansätze diskutiert und Erwartungen an die Ausbildung ausgetauscht.
Einblick in diese Events geben diverse Blogbeiträge auf der Website des GBS:
Welche Erkenntnisse können daraus gezogen werden?
Eine Begleitgruppe der PHSG ist regelmässig mit mir als Projektleiter im Gespräch. Zudem wurde das Unterprojekt «Mathe-flex am GBS» evaluiert. Es zeigt sich, dass diese Art Unterricht bei einem grossen Teil der Lernenden (ca. 70%) gut bis sehr gut ankommt. Vor allem das Lernen im eigenen Tempo kommt den jungen Leuten entgegen, einige kennen das bereits von der Oberstufe. Da wir am GBS sowieso mit den Themen «Begleitetes selbstorganisiertes Lernen» und «Blended Learning» unterwegs sind, fand der Unterricht in einer neugestalteten «Mini-Lernlandschaft» statt. Auch dies wird von den Klassen sehr geschätzt, die Örtlichkeiten unterstützen das Lernen und die Zusammenarbeit. Lehrpersonen stehen bei Schwierigkeiten vor Ort zur Verfügung oder vermitteln in kurzen Inputs gezielt Wissen. Die Rolle der Lehrperson ist abwechslungsreich, man ergänzt sich im Team. Zudem haben alle Involvierten in diesem Unterprojekt viel über die Arbeit mit Lernpfaden gelernt. Sinnvoll eingesetzt sind diese eine Bereicherung für den Unterrichtsalltag.
Welche Ziele verfolgt die Projektgruppe bis im Sommer 2023 für einen erfolgreichen Abschluss?
- Implementierung eines flexiblen Ablaufs für den Mathe-Unterricht bei den Automatikern am GBS (vorzeitiger Abschluss der geforderten Kompetenzen, anschliessende Bearbeitung neuer Technologien wie IoT etc.)
- Umsetzung eines berufsübergreifenden Unterrichts im 1. Lehrjahr bei Apparate- und Anlagebauern/Polymechanikern, der mit den üK-Inhalten optimal abgestimmt ist und iterativ aufgebaut wird
- Vertiefung der Lernortkooperation mittels Einholens von Lernendenrückmeldungen, die jeweils in jeder Fachkommissionssitzung thematisiert werden. Diese Umfrage steht auch Berufen ausserhalb der MEM-Branche zur Verfügung.
- Einbinden von ABU-Lehrpersonen, um die Verknüpfung mit Themen des Berufskundeunterrichts mit Blick auf Blended Learning herauszuarbeiten
Was waren deine persönlichen Highlights in diesem Projekt?
Die jederzeit konstruktive Zusammenarbeit mit den Kollegen, angereichert mit vielen Diskussionen um wertvolle Grundlagen guten Unterrichts – man lernt nie aus. Auch die Kooperation mit anderen Berufsfachschulen und der FUTUREMEM-Gruppe rund um das Berufspädagogische Konzept haben mir Freude bereitet. Ebenfalls in guter Erinnerung sind mir die verschiedenen Workshops zusammen mit Daniel Rakic, Leiter der ITBO, zu denen wir Lernende und OberstufenschülerInnen eingeladen haben. Mir gefällt es, Menschen zusammenzubringen, Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu diskutieren und gemeinsam nach Lösungen zu suchen, die für unsere Lernenden einen Mehrwert generieren.
Wie geht es mit der MEM-Reform weiter und wie wird diese umgesetzt?
FUTUREMEM führt regelmässig Infoveranstaltungen durch und gibt transparent Einblick in die Arbeitspakete. Die Umsetzung ist auf Sommer 2026 geplant. Bis dann gibt es für die beteiligten Lehrpersonen im ganzen Kanton einiges an Arbeit. Eine so umfassende Reform kann man nicht einfach so nebenher bewältigen. Aus meiner Sicht ist es optimal, wenn daraus im Verlauf der nächsten zwei Jahre ein schulübergreifendes Projekt wird, bei dem Lehrpersonen aus allen MEM-Schulen im Kanton St.Gallen eingebunden werden. Allerdings sorgt die strategische Immobilienplanung für eine gewisse Unsicherheit, weil noch nicht klar ist, wo die MEM-Berufe in Zukunft beschult werden.
Für MEM-Berufe sind MINT-Kompetenzen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) sehr relevant. Wie werden sie beim Nachwuchs gefördert?
Als GBS arbeiten wir bei dieser Thematik eng mit Smartfeld zusammen. Die Initiativen, die dort in Kooperation mit verschiedenen Playern entstehen, bilden eine top Grundlage, wie Schülerinnen und Schülern aus der Region von MINT-Themen begeistert werden. Ein gelungenes Beispiel ist aus meiner Sicht der IoT-Würfel, mit dem SchülerInnen sich mit dieser neuen Technologie auseinandersetzen können. Dieser Cube ist übrigens ein Produkt aus dem Teilprojekt Unterricht 4.0 der ITBO, genau wie die IoT-Werkstatt am GBS auch.
Vielen Dank für diesen spannenden Einblick und einen erfolgreichen Endspurt!
Das Projekt FUTUREMEM umfasst die Reform der acht technischen beruflichen Grundbildungen der MEM-Branche in der Schweiz:
- Anlagen- und Apparatebauer/-in EFZ
- Automatikmonteur/-in EFZ
- Automatiker/-in EFZ
- Elektroniker/-in EFZ
- Konstrukteur/-in EFZ
- Mechanikpraktiker/-in EBA
- Polymechaniker/-in EFZ
- Produktionsmechaniker/-in EFZ
Nathalie Eberle
Kommunikation ITBO Schwerpunkt Berufsbildung
Fachperson Kommunikation
Amt für Berufsbildung
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